Kathrin Bauer

Von Nadine Söll


Kathrin Bauers Rauminstallationen ähneln einer modernen Wunderkammer. Seit der Renaissance gab es diese Kunst- und Naturalienkammern in Europa, wo sie als Aufbewahrungsorte für fürstliche oder bürgerliche Sammlungen verschiedenster Kuriositäten fungierten. Das Ziel dieser Wunderkammern war es, in der eigenen Studierstube einen Mikrokosmos möglichst vielfältiger Gegenstände aus Bereichen der Natur und der Kunst zu schaffen, und auf diesem Weg eine Repräsentation bzw. eine eigene Untersuchung der göttlichen Schöpfung zu erlauben. Das Spektrum der gezeigten Objekte umfasste dabei so unterschiedliche Objekte wie: Silber- und Goldschmiedearbeiten, Korallen, Kristalle und Mineralien, große Muscheln, Tierpräparate, Elfenbeinschnitzereien, Münzen, Totenmasken, Literatur über Alchimie, mathematische oder chirurgische Instrumente, so genannte Kunstuhren oder Spielautomaten, Astrolabien, Globen, ethnologische Exponate verschiedener religiöser und kultureller Regionen und Dinge der Alltagskultur. Diese Faszination für solche Raritäten und Kuriositäten entstammte teilweise mittelalterlicher Folklore, entsprach aber auch der humanistischen Wiederbelebung antiker Sagenwelten und dem Interesse an technisch-wissenschaftlichen Neuerungen.

In ihren Installationen verzichtet Kathrin Bauer auf die klassische Unterteilung von Naturaliensammlung und Kunstsammlung und formuliert einen eindrücklichen Kontrast von natürlichen Leben und Künstlichkeit bzw. Kunst. Sie versammelt verschiedene Objekte und Materialien zum Thema menschlicher Existenz und stellt Fragen zum aktuellen Umgang mit dem Körper in unserer Gesellschaft. Dabei stellt sie in einem heterogenen Mix die Motive von Geburt, Leben, Umgang mit Krankheit, Geschlecht und Identität in den Raum und thematisiert deren Darstellung in der Kunst, sowohl in allgemeinem Rahmen als auch auf persönlicher Ebene.

Zu den Beispielen ihres bisherigen Schaffens, die den größten Wiedererkennungswert ihrer Arbeiten ausmachen, zählen verschiedene - zumeist kleinteilige – farbig glasierte Tonnachformungen bestimmter Körperteile. Häufig findet man darunter ca. fingergroße Nachbildungen von Zähnen, wie zum Beispiel in Form einer Kette, an der mehrere solcher Porzellanzähne aufgereiht sind. Zudem zeigt die Künstlerin neuere Arbeiten, die sich durch verschiedene Materialkombinationen z.B. von Stoff und gefärbtem Silikon auszeichnen. Formal sprechen diese jüngsten Arbeiten konkrete Aspekte (vor allem der weiblichen) Körperlichkeit an und orientieren sich deutlich an der Formensprache der Werke einiger führenden Künstlerinnen der 60er Jahre. Dabei nutzt Kathrin Bauer die konkrete Anlehnung an Werke von Künstlerinnen wie Eva Hesse oder Louise Bourgeois als Mittel, um die Relevanz weiblicher Künstler und deren Rolle in der zeitgenössischen Kunst zu hinterfragen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Aspekt der Prozesshaftigkeit.

Die Künstlerin setzt sie sich mit den auf Weiblichkeit projizierten Rollenzuschreibungen bestimmter Assoziationen wie Verletzlichkeit und Weichheit (metaphorisch im Material des leicht formbaren Silikons) und mit dem weiblichen Potential des Gebärens - als Ursprung aller Existenz und allen Schaffens - auseinander. Sie betont diesen Ursprung des Gebärens und Geborenwerdens als existenzialistische Notwendigkeit, als ersten Schritt jeder künstlerischen Entwicklungsbedingung, welche jedoch oft gegenüber dem kreativen Schaffen ausgeblendet wird. An dieser Stelle stellt sie die entscheidende Frage nach den Eckpunkten des physischen Daseins (Geburt, Existenz und Tod) und danach, inwiefern das Leben sich zwischen körperlicher Kontigenz/Existenz und künstlerischer/kreativer Transzendenz aufspannt, wobei das in der Kunst Erschaffene die körperliche Existenz überdauern (überLEBEN) kann. Doch gerade in Zeiten der virtuellen Entmaterialisierung von Identität appelliert Kathrin Bauer an eine Rückbesinnung auf unsere Körperlichkeit.

Verschiedene Objektes der Werkgruppe aus Silikon und Textil lassen eine vaginale Grundform erkennen oder beschäftigen sich auf andere Weise speziell mit dem weiblichen Körper. Diese Formen können jedoch in der spiegelnden Oberfläche eines Tischchens verfremdet werden und müssen deshalb in einem weiteren Kontext gelesen werden. Hier stellt die Künstlerin die Frage danach, ob es Werke gibt, an denen man eine feminine Formensprache ausmachen kann. Kathrin Bauer hinterfragt diese These und greift den Aspekt eines femininen gefärbten Ausdrucks vielmehr in der Betonung der Prozesshaftigkeit des eigenen Schaffens und der Art der Präsentation ihrer Arbeiten auf. In Anlehnung an die feministische Literatur der Philosophin Luce Irigaray erkennt sie weibliche Aspekte des linguistischen Diskurses in der Heterogenität und in dem Flüssigen der Sprache und übersetzt diese Überlegungen in ihre eigene künstlerische Sprache. Konkret zeigt sich dies an den Installationen in der Fülle und Vielfalt der gewählten Arbeiten, in dem zu erkennenden Materialmix und darin, dass sie die Präsentation der Installation häufig metaphorisch in einen traditionell der Frauenrolle zugeordneten privaten Raum verlegt. So kann auch die vorliegende Aufteilung des Ausstellungsraumes als Skizze eines Wohnraumes gedeutet werden, worin der zum Leben benötigte Raum in Bereiche des Entstehens, des Erhaltens und des Endes des Lebens aufgeteilt ist. Die Tradition der Kunst bestätigt, dass der Mensch sich seit jeher mit der Darstellung dieser Themen beschäftigt, sei es in Form der Fleischwerdung des heiligen Wortes einer Christusgeburt oder in barocken Vanitasmotiven.

Hinter einer eingezogenen Abtrennung zeigt Kathrin Bauer einen eineinhalb Quadratmeter großen Raum, dessen Boden mit einem dunkelblauen Badezimmerteppich ausgekleidet ist. Eine Vielzahl verschiedener weißer Porzellanzähne ist darauf verteilt. Vervollständigt wird die Arbeit durch einen an der gegenüberliegenden Wand befindlichen Spiegel, in dem der Betrachter reflektiert und auf diese Weise direkt ins Werk einbezogen wird. Die Arbeit markiert auf diese Weise ein modernes Memento Mori, welches in den Raum des Alltags verlegt ist und uns unserer Gegenwart im Leben als auch des gegenwärtigen Alterns und Todes erinnert. Die markantesten Momente menschlicher Existenz, wie Geburt, oder Krankheit und Altern und Sterben werden in unserer Gesellschaft häufig in den Rahmen von Krankenhäusern gelegt und vom eigentlichen vitalen Leben getrennt und tabuisiert (siehe Susan Sonntags Texte zu Krankheit und Sterben).

Die in der Referenz an medizinische Räume eines Krankenhauses implizierte, deutliche Unterkühlung des modernen Ausstellungsraumes und des hier vorzufindenden Materials (Marmorboden, weiße Wände des White Cubes, weißes kühles Neonlicht) steht im Kontrast zum Charakter einiger Arbeiten, die auf diese Eigenschaften reagieren, indem sie alternativ die Möglichkeit einer wärmeren, tröstenden Vorstellung eines Heimes andeuten. Dies geschieht u.a. in einer mittig im Raum platzierten kastenförmigen „Krippe“, die wie ein Nest mit mehreren versetzt übereinander gelegten Filzlaken ausgekleidet ist. In einer eingelassen Mulde im Zentrum der Arbeit befinden sich mehrere glasierte Blutstropfen aus Ton. Das in der Arbeit angesprochene Bedürfnis nach Wärme wird demnach mit der Repräsentation der Arbeiten verstärkt und betont die Ambivalenz von Einzelwerk und Gesamtkomposition. Dabei drängt sich bei der Interpretation der Gesamtkomposition der bereits eingangs erwähnte Verweis auf eine Wunderkammer der Gegenwart auf. Die Verquickung von Medizin und Wunder steht unter der untersuchenden Beleuchtung des sterilen gleißenden Lichts der Neonleuchten der modernen Ästhetik der Ausstellungsräume. Dank der modernen Forschung bleiben heute nur noch wenige „Wunder“, die meisten davon liegen verborgen im wissenschaftlich/ medizinischen Rahmen. Die Visualisierung der Ergebnisse medizinischer Forschung liefert Diskurse für die Bildwissenschaften und das konstante Streben nach neuesten Erkenntnissen zu Entstehung und Erhaltung von Leben, aber auch zur der Manipulation und „Artifizialisierung“ von Leben hat unweigerlich auch in der Kunstproduktion Spuren hinterlassen, die es aufzuzeigen und zu verstehen gilt.

Kathrin Bauers Installation ist somit ein vielschichtiger Versuch, sich mit Themen der menschlichen Existenz auseinander zu setzen, und den medizinisch dominierten Ablauf der Eckpunkte des Lebens Geburt/ Krankheit/ Tod zu verstehen und zu hinterfragen. Darauf verweist die Wahl der Materialien und der Charakter der Alltäglichkeit/Volkstümlichkeit einiger Objekte, der an den Moment des Wunderns und Staunens der Betrachter der Wunderkammern früherer Zeiten erinnert. Bei Kathrin Bauers Arbeiten bezieht sich der benutzte Begriff sowohl auf das Wunderliche der betrachteten Objekte als auch die Verwunderung, die diese beim Betrachter auslösen können.